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CAMP Nr. 1 Magazin für Comic, Illustration und Trivialliteratur

„Die etwas andere Zeitschrift für Nostalgiker erscheint erstmals im November 2014. Das Team der Edition Alfons begibt sich in CAMP auf eine Reise in triviale Gefilde, in die Grenzbereiche zwischen Trash und Kitsch, und beschäftigt sich mit den schönen Dingen, die man als Kind und Teenager begeistert konsumiert hat und denen man als erwachsener Mensch mit heimlichem Vergnügen begegnet.“

Mit etwa diesen Worten kündigten die Herausgeber das Erscheinen ihres neuen Verlagsproduktes an. Mittlerweile hatte ich das Vergnügen, CAMP zu lesen und konnte mir einen persönlichen Eindruck verschaffen, was sich hinter dem verlangenerweckenden Titel verbirgt.

CAMP Nr. 1
CAMP Nr. 1

Das Wichtigste zuerst: Danke!
Danke für ein Magazin, das es nicht nötig hat, gezwungen hipp zu sein und dessen Inhalte ausreichend schräg sind, um sich eine klare, fast konventionell zu nennende Gestaltung leisten zu können. CAMP ist eine rundum erfreuliche Drucksache, angenehm leserlich gesetzt und mit ausreichend Raum für eine großzügige Bebilderung der Artikel. Farbliche Kennzeichnungen aller Beiträge entsprechend ihres Referenzzeitraums machen die zeitlichen Schwerpunkte des Heftes schon im Inhaltsverzeichnis grafisch ablesbar.
Danke auch für den Entschluss, sich über Gattungs- und Genregrenzen hinwegzusetzen und Zeichnungen unterschiedlicher Ausprägungen gemeinsam mit populärkulturellen Inhalten in einer Publikation zusammenzubringen.

Die Herausgeber versprechen eine »Entdeckungsreise« durch Primärmaterial, ausgewählte Comics, Illustrationen und Trivialkultur. Und tatsächlich führt der Leseweg durch recht verschiedene Gegenden, jeder Artikel ist eine kleine Welt für sich und so ist für jede/n etwas dabei.

Die einführenden Überlegungen von Matthias Hofmann beschwören eine Sehnsucht nach ›Damals‹ herauf, bewegen sich durch Erinnerungen und konstatieren zugleich einen Mangel an guten lesbaren Texten zu trivialkulturellen Themen. Diese Lücken will CAMP füllen, und so endet der Text mit dem etwas markigen Ausspruch, dass nichts unmöglich sei … Der Leser wird auf den Grundklang des Magazins eingestimmt, ohne dass eine inhaltliche Engführung vorgezeichnet wird.

Der erste längere Artikel widmet sich LUPO-modern, einem Magazin, das in dem Versuch, Comics und Populärkultur zu kombinieren, als geistiger Vorläufer von CAMP gelten kann. Wenn es sich auch an eine ganz andere Zielgruppe richtete, nämlich an Jugendliche – wohingegen CAMP, angefangen beim Titelbild, eher auf den Mann mittleren Alters fokussiert. Die zwei Jahre der Existenz von LUPO-modern (1964-66) werden von Horst Berner genau beleuchtet, die Veränderung der magazininternen Strukturen ebenso betrachtet wie dessen Bildpolitik und die durch es mit herbeigeführte Popularisierung frankobelgischer Comics. Wie nebenbei weht ein Hauch von Zeitgeist durch den Artikel. Ein wenig fremd bleibt LUPO-modern mir persönlich trotzdem, bringe ich den knollennasigen Namensgeber doch vor allem mit der etwas unbedarften Figur aus den Fix und Foxi-Heften meiner Jugend rund 15 Jahr später in Zusammenhang.

Der anschließende Text bleibt in den 1960er Jahren, springt aber von West nach Ost, oder genauer: über Südeuropa in die DDR. Die Comics um den kleinen Superhelden Atomino wurden in Italien entwickelt und haben es als einziger ›Westcomic‹ zu einer längeren Karriere in einer ostdeutschen Zeitschrift gebracht. Atomino schaffte es für knapp zwei Jahrzehnte auf die Kinderseiten der FRÖSI, wo er linke Ansichten und Propaganda verbreiten durfte. Auf die Umstände der Ost-West-Verwicklungen, die Adaptionen und Anpassungen, zielt Autor Guido Weißhahn in seiner, nicht zuletzt aufgrund des mitgelieferten Bildmaterials, nachvollziehbaren und spannenden Darstellung. Weißhahn gelingt es, anhand eines Comics dessen Schöpfer kurz vorzustellen, die Entwicklungsgeschichte und den Umgang mit ihm in unterschiedlichen Systemen zu schildern und die Auswirkungen der jeweiligen politischen Strukturen auf die Arbeit der Urheber aufzuzeigen. (An Comics in der DDR Interessierten sei Weißhahns Internetpräsenz www.DDR-Comics.de empfohlen.)

Es folgt eine Charlier-Biografie von Volker Hamann, die ihren Schwerpunkt auf den künstlerischen Werdegang Chaliers legt. Es wird aufgezeigt, wann er mit wem wie und warum gearbeitet hat, dazu kommen ausführlichere Exkurse in einzelne Comicserien. Hinweise auf drucktechnische Besonderheiten einiger Veröffentlichungen und den Einfluss der Farbgebung auf Gestaltung und Atmosphäre der Comic-Geschichten zeigen, wie genau Hamann hingeschaut hat. Leider hat mich die faktenlastige Mischung aus Aufzählung von Titeln, Inhaltsangaben und Überblicksdarstellungen dennoch nicht recht in ihren Bann ziehen können.
Eine weitere Biografie folgt mit Hofmanns Nachruf auf Al Feldstein. Der erste Teil der Würdigung seines Lebens, vor allem aber seines Werkes, befasst sich mit seiner Arbeit als Freiberufler und der Zeit bei EC-Comics. Der zweite Teil wird in der nächsten Ausgabe von CAMP folgen.

Ich kannte weder Fantomen noch Heiner Bade, einen seiner Zeichner, bevor ich das Interview mit Bade gelesen hatte. Vielleicht gerade deshalb war es spannend, zu erfahren, wie ein Hamburger dazu kommt, für ein schwedisches Magazin zu zeichnen und wie sich eine langjährige – Bade zeichnet seit fast vier Jahrzehnten für Fantomen – Arbeit an einer Comicserie gestalten kann. Eine aufschlussreiche Ergänzung bieten die Gegenüberstellungen von schwarzweißen, kolorierten und teilweise retuschierten Seiten aus dem Magazin.
In einem zweiten Interviewbeitrag wird Glen Olbrik (von dem das Titelbild von CAMP Nr. 1 stammt) und seine Arbeitsweise vorgestellt, wobei Olbriks Comic-Cover im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen.

Das Sahnehäubchen dieser Ausgabe stellt in meinen Augen der Artikel von Peter Richardson über David Wright dar. Von Jens R. Nielsen kongenial übersetzt (den ich an einigen Stellen rauszuhören vermeine) beschreibt Richardson verrückt wie detail- und bildverliebt das Leben und Wirken Wrights. Das ist inhaltlich und sprachlich gleichermaßen extravagant und lässt mich mit dem Gefühl zurück, sowohl den Menschen Wright wie auch seiner Arbeit ein ganzes Stück nähergekommen zu sein.

Der Beitrag von Heinz J. Galle über Trivialliteratur am Rande oder vielmehr im Sog des ersten Weltkriegs beginnt mit der knapp und zugleich detailliert zusammengefassten Vorgeschichte dieses Krieges und widmet sich dann den Erscheinungsformen der Kriegswerbung und -verherrlichung zu Beginn der Kriegsjahre, über die Sammelbildchen des Liebings-Fleischextrakts bis hinein ins Kinderbuch und bis zu ihrem Niedergang. Als sich die Kriegseuphorie erschöpfte, dünnten auch ihre bildlichen und populärkulturellen Niederschlagsformen aus.
Einziges Minus: Der gut geschriebene Artikel lässt einen genaueren Blick auf die begleitenden Abbildungen vermissen.

Michael Chabon umreißt in Kinderkram im Laufschritt die Anfänge des Comic bis zur anspruchsvollen Bildliteratur, wobei er den Versuch, eine erwachsene Leserschaft zu erreichen, als Gralssuche begreift – die von ihm als »ausgedehnter Anfall von inspiriertem Wahnsinn« betitelt wird. Nicht nur, indem er Adressaten und Verkaufszahlen in Relation setzt, plädiert Chabon dafür, dass der Comic zum Kind zurückkehren solle; er fordert »gute Comics für Kinder« und macht zugleich konkrete Vorschläge, wie diese aussehen könnten. Das provoziert und regt an, sich eigene Gedanken zu machen.

Georg Seeßlen schreibt über Zagor. Mehr muss dazu nicht gesagt werden, wenn man Seeßlen kennt. Er schafft es, den italienischen Comichelden nicht nur vorzustellen, sondern mit ihm seine Schöpfer, die Inhalte der Comicserie, Hinweise auf Aufbau und Strukturen zu geben und ganz nebenbei noch eine größeren Referenzrahmen aufzuspannen. Dabei verliert er wichtige Details wie Zagors Körpergröße nicht aus dem Blick. Zuletzt bricht auch Seeßlen eine Lanze für ›Kinderträume‹ – wenn sich auch seine Ideen, wie diese zu erfüllen oder vielmehr heraufzubeschwören sein könnten, wesentlich von denen seines Vorgängers unterscheiden.

Das letzte Drittel des Heftes nehmen Rezensionen und Erstpublikationen von Comicstrips ein. Auf sechs Seiten werden ebensoviele Publikationen kritisch besprochen; und ich bin dankbar dafür, dass das Wort ›Kritik‹ an dieser Stelle in seiner Spannbreite erahnbar wird. Das Heft schließt mit einer Folge von deutschen Erstveröffentlichungen, bei denen auf eine kurze, einseitige textliche Vorstellung des Werkes und seines Urhebers je einige (Farb-)Seiten mit den dazugehörigen Comics folgen. Mit Edgar P. Jacobs, Will, Raymond Reding, Milton Caniff und Charles M. Schulz wird die gesamte Breite der erzählerischen und zeichnerischen Möglichkeiten aufgezeigt, so dass allein diese letzten Seiten den Kaufpreis wert gewesen wären.

 

Das Versprechen hat sich erfüllt, das Konzept einer »Entdeckungsreise« ist aufgegangen.
Die Möglichkeiten des Magazins sind aber noch lange nicht ausgeschöpft. Die CAMP-Website bringt folgende Definition:

CAMP [Kunst]: »Eine stilistisch überpointierte Art der Wahrnehmung von kulturellen Produkten aller Art (Film, Musik, Literatur, Bildende Kunst, Mode, etc.), die am Künstlichen und der Übertreibung orientiert ist; oft gehören die als ›campy‹ erlebten Werke der Trivial- oder Populärkultur an, die hier jedoch nicht (nur) gedankenloser Zerstreuung dient, sondern eine ästhetische Aufwertung erfährt.«

Alles kann Camp sein, nichts ist es zwingend. Der Begriff umschreibt einen Blick auf die Welt unter rein ästhetischen Gesichtspunkten, mit einem Hang zur Übertreibung und zum Massengeschmack. ›Campy‹ ist etwas, das in einem Maße stilisiert ist, das über seinen Inhalt weit hinausgeht, ihn überformt und dem Rezipienten übergeschnappt entgegeneilt – ohne dabei an Ernsthaftigkeit in der Haltung einzubüßen. Susan Sontag (»Anmerkungen zu ›Camp‹« (1964), in: Geist als Leidenschaft. Ausgewählte Essays, Leipzig u. Weimar 1989) sowie Christopher Isherwood (»[…] in The World in the Evening (1956), ›it’s terribly hard to define. You have to meditate on it and feel it intuitively, like Laotse’s Tao.‹« (http://www.glbtq.com/literature/camp.html) zufolge ist eine feste Definition des Begriffs nicht nur schwierig, sondern unmöglich, denn Camp ist eine Wahrnehmungs- und Erlebnisweise – und damit etwas, das nicht von den Dingen ausgeht, sondern vielmehr von ihrem jeweiligen Betrachter.

Im Prinzip steckt das schon in Hofmanns anfänglichen »Alles ist möglich.« Entsprechend würde ich mir wünschen, dass CAMP, um im Bild zu bleiben, noch höhere Gipfel erklimmt und sich in noch tiefere Täler vorwagt, es sich erlaubt, einen Ötzi aus dem Eis zu hauen und ebenso, einen südamerikanischen Schlangentanz zu choreografieren und den Yeti zu jagen. Diese erste Ausgabe kann die Herkunft des Magazins aus einem Verlag, der sich vorrangig mit Comics beschäftigt, nicht leugnen. Die Beiträge sind, und auch das spürt man in der Summe, von ›Herren in den besten Jahren‹ verfasst worden, und treffen bei einem ebensolchen Publikum, mit ähnlichem Hintergrund, ähnlichen Interessen und Erfahrungen, mit Sicherheit auf sehr fruchtbaren Boden. Die begeisterte Leserschaft ließe sich problemlos erweitern, wenn die Fortsetzung etwas wagemutiger bei gleicher Qualität ausfallen würde.

Insgesamt handelt es sich bei CAMP eine gelungene und interessante Mischung, die sich aber gern noch ein Stück weiter weg von den anderen Publikationen der Edition ALFONS bewegen darf. Ich bin gespannt auf die nächsten Ausgaben …
Camp: Die Welt als ästhetisches Phänomen betrachten – da geht noch was.

Und hier geht es zur 18-seitigen Leseprobe, für diejenigen, die selbst reinschnuppern wollen:
http://www.reddition.de/index.php/start/camp1401-leseprobe

CAMP. Magazin für Comic, Illustration und Trivialkultur
Herausgegeben von Matthias Hofmann und Volker Hamann
Magazin 1/2014, Softcover, 140 farbige Seiten, A4, 15,00 Euro
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